domicil: Ukraine-Benefizkonzert mit Vadim Neselovskyi

 

Für ein weiteres und sehr besonderes Solidaritäts- und Benefizkonzert für die Ukraine konnte das domicil kurzfristig für Fr 13.5.22 um 20 h den Pianisten und Komponisten Vadim Neselovskyi gewinnen. Er wird in einem Solo-Piano-Konzert die von ihm komponierte Suite „Odesa: A Musical Walk Through a Legendary City“ aufführen.

Neselovskyi ist in Dortmund kein Unbekannter. Er hat in den 1990er Jahren nach dem Umzug aus Odessa lange Jahre in Dortmund verbracht, hier klassisches Klavier studiert und war auch feste Größe in der hiesigen Jazzlandschaft. Er zog in die USA, studierte dort weiter und spielte u.a. mit Gary Burton, Julian Lage, Antonio Sanchez und vielen anderen. Mittlerweile ist er Professor am renommierten Berklee College of Music in Boston (USA). Neben internationalen Tourneen ist er jedoch nach wie vor weiterhin desöfteren in Dortmund anzutreffen und auch dem domicil sehr verbunden.

Bereits seit 2019 arbeitet er am Konzept einer „Odessa Suite“. Während der pandemiebedingten Lockdowns in 2020 und 2021 konnte er die Musik der Suite regelmäßig am großen Konzertflügel im domicil weiter ausarbeiten und proben. Umso mehr freut uns das domicil und ihn, es hier an diesem Ort nun auch vor Publikum aufführen zu können, auch wenn die Bedeutung der Suite durch den russischen Angriffskrieg inzwischen eine etwas andere geworden ist.

Während sich die Stürme des Krieges zusammenbrauen, möchte der Pianist und Komponist Vadim Neselovskyi die Menschen an die Schönheit und das kulturelle Erbe des Landes erinnern, seiner Heimatstadt: Odesa: A Musical Walk Through a Legendary City (Anmerkung: ODESA = ukrainische Schreibweise, ODESSA = russische Schreibweise).

Neselovskyi wurde 1977 während der Breschnew-Jahre (gemeinhin als „Zeit der Stagnation“ bezeichnet) in Odesa geboren. Er war noch ein Kind, als Gorbatschow 1985 an die Macht kam, und war gerade 14 Jahre alt, als die Sowjetunion 1991 zusammenbrach. Neselovskyi war ein musikalisches Wunderkind, das als jüngste Person am Konservatorium von Odessa aufgenommen wurde. Obwohl er in der klassischen Welt begann, hat sich Neselovskyi durch Matrosen, von denen er Aufnahmen bekam, für Jazzmusik begeistert. Schon bald ging er nach Deutschland und später an das Berklee College of Music in Boston, um seine Studien fortzusetzen.

Im Laufe der Jahre setzte Neselovskyi seinen Aufstieg in der Welt des Jazz fort und trat während des letzten Jahrzehnts seiner Karriere an der Seite seines Mentors Gary Burton auf. Burton wurde zu einem der wichtigsten Förderer von Neselovskyi als Komponist, der Neselovskyis Kompositionen zusammen mit Julian Lage und Antonio Sanchez aufnahm und aufführte.  Neselovskyi veröffentlichte zudem eine Reihe von Alben mit dem Waldhorn- und Alphornmeister Arkady Shilkloper. Kürzlich begann Neselovskyi, seine jüdischen musikalischen Wurzeln in Zusammenarbeit mit John Zorn auf dessen Label Tzadik zu erforschen und nahm im Duo mit Craig Taborn auf.

Neselovskyi kehrte regelmäßig in die Ukraine zurück, um dort aufzutreten und setzte sich zunehmend mit der durch Russland verursachten Misere in seinem Land auseinander. Auf dem Höhepunkt des Krim-Konflikts im Jahr 2014 führte der Pianist sein Trio beim Lviv Jazz Festival an und rührte ein Publikum zu Tränen, das von den jüngsten Nachrichten über ein abgeschossenes ukrainisches Flugzeug betroffen war. Im Jahr 2015 trat Neselovskyi beim Berklee’s Concert for Ukraine auf.

Das musikalische Können des Pianisten wuchs in gleichem Maße wie sein politisches Engagement. Neselovskyis Soloklavierstil begann sich weiterzuentwickeln, nachdem er seinen ersten Auftrag als Orchesterkomponist erhalten hatte, eine Adaption seines „Spring Song “ für das Lancaster Music Festival.  Für sein Soloklavierwerk begann er, dieselben Werkzeuge zu verwenden wie für seine Orchesterwerke, nämlich computergestützte Notations- und Sequenzierungsprogramme, und filterte dann die Stücke, bis er sie nur noch mit seinen beiden Händen auf der Klaviertastatur spielen konnte. Dies ermöglichte einen extensiven orchestralen Ansatz für Solokompositionen, der über die Grenzen der gewöhnlichen Klaviertextur hinausgeht.

Neselovskyi stellte sich das Projekt wie ein Theaterstück vor, das es dem Publikum ermöglicht, vollständig in das Werk einzutauchen. Er wollte, dass die Musik eine Atmosphäre schafft, die den Zuhörer in seine geliebte Heimat versetzt. Er wusste, dass er auf dem richtigen Weg war, als er kurz vor dessen Tod im Jahr 2019 die Zustimmung seines Vaters, einer lebenden Verkörperung des Odesitentums und -humors, bekam, als dieser sich erste Teile des Stücks anhörte.

Der Pianist ließ sich für Odesa von Modest Mussorgskys Bilder einer Ausstellung inspirieren. Er beschloss, die Zuhörer durch sein Odesa zu führen, ausgehend von der Geschichte, die er gelernt hat, seinen persönlichen Erinnerungen und Beobachtungen und seinen Träumen.

Das Programm beginnt mit einer dramatischen Ankunft in der Odesa Railway Station, deren tuckernder Rhythmus Neselovskyis lyrische Melodie mit starken Elementen bittersüßer Ironie untermalt, für die Odesa bekannt ist, und verlangsamt sich zu einer bewegenden einleitenden Rhapsodie, deren Bedeutung eine Zugentgleisung (eine symbolische Unterbrechung der Reise) und schließlich der Versuch ist, sich wieder auf die Spur zu setzen und weiterzufahren. Winter In Odesa fängt die zarte, schimmernde Schönheit der eisbedeckten Stadt ein, während das eindringliche Potemkin Stairs den Eindruck von Odesas bekanntestem Wahrzeichen, die  zum aufgewühlten Schwarzen Meer führende Treppe, einfängt, die in Eisensteins Filmklassiker Panzerkreuzer Potemkin zu sehen ist. Das ruhige, lyrische Stück Acacia Trees atmet die Zärtlichkeit eines Maientages in Odesa, durchdrungen vom Geruch des Meeres und dem Duft von Blumen.

Der kapriziöse Waltz of Odesa Conservatory ist ein wehmütiges autobiografisches Klanggedicht, das den Beginn der Studien des sehr jungen Neselovsky am Konservatorium von Odesa und den verschlungenen Weg nachzeichnet, den er in diesen Jahren einschlug. Die nächsten drei Stücke stellen eine Suite innerhalb einer Suite dar und sind der jüdischen Bevölkerung gewidmet, die Odesa zu dem gemacht hat, was es war. October 1941 ist ein düsteres, erschütterndes Stück, das die Empörung über die Ermordung der jüdischen Bevölkerung von Odesa durch rumänische Truppen unter dem Oberbefehl Hitlers zum Ausdruck bringt. Das Thema von Jewish Dance zitiert teilweise ein Wiegenlied, an das sich Neselovskyis Mutter erinnerte und das ihr von ihrem Vater vorgesungen wurde, obwohl Neselovskyi die Quelle nie ausfindig machen konnte. Neselovskyi beschleunigte die Melodie, um einen lebhaften Tanz zu kreieren.

Ein weiteres autobiografisches Stück, My First Rock Concert, erinnert an Neselovskyis aufkeimendes Interesse an populärer Musik während des Zusammenbruchs der Sowjetunion. Er besuchte ein Konzert des legendären russischen Rockstars Victor Tsoy, der in den späten 1980er Jahren eine Stimme und ein Symbol für den Wandel war; Anklänge an Tsoys Hymne Blood Type sind im bewegenden Höhepunkt des Stücks zu hören. Die Aufnahme schließt mit The Renaissance of Odesa, einem wehmütigen Stück, in dem dafür gebetet wird, dass Odessa nach den letzten 80 Jahren des Aufruhrs wieder aufgebaut werden kann und die gegenwärtige Bedrohung übersteht.

Generationen von Bewohnern von Odesa und der Ukraine haben Unruhen und Entbehrungen miterlebt. Vadim Neselovskyi erinnert sich lieber an die Schönheit des Ortes, an dem er geboren wurde, als an die Dunkelheit und die Schwierigkeiten. Odesa: A Musical Walk Through a Legendary City ist eine wirklich wunderbare und einzigartige Hommage an die Perle des Schwarzen Meeres.

Das Konzert wurde kurzfristig ins Programm aufgenommen.


Vadim Neselovskyi
Odesa: A Musical Walk Through a Legendary City

Freitag 13. Mai 2022, 20:00 Uhr

domicil – Konzertsaal
Hansastr. 7-11, 44137 Dortmund

Eintritt: VVK+AK 20 €

Vorverkauf:

Online-Ticketshop domicil auf www.domicil-dortmund.de

Ruhr Nachrichten Service Center, Silberstraße 21, Dortmund

Der gesamte Eintrittserlös kommt einer humanitären Hilfsorganisation in der Ukraine zu Gute. Spenden sind willkommen.

Der Pianist und Komponist Vadim Neselovskyi spielt im domicil ein Ukraine-Benefizkonzert (Foto: domicil dortmund)