Museum Ostwall zeichnet Hannah Cooke mit MO-Kunstpreis aus


Ihre Werke drehen sich um Gender und Hierarchien in Kunst und anderswo – nun wird Hannah Cooke mit dem Kunstpreis des Museum Ostwall geehrt. Ihre Kunst bereichert nun auch die Sammlung des MO.

Die Freunde des Museum Ostwall e.V. verleihen den diesjährigen MO_Kunstpreis an die Künstlerin Hannah Cooke. Im Anschluss an die Preisverleihung am Sonntag, 11. September um 11:00 Uhr, wird im MO_Schaufenster eine Ausstellung mit Werken der Künstlerin eröffnet. Unter anderem zu sehen: die beiden Videoinstallationen „Ada vs. Emin“ und „Ada vs. Abramović“.

Die 1986 geborene Cooke erforscht mit ihren Arbeiten gesellschaftliche Schieflagen: Genderfragen, informelle oder institutionelle Hierarchien innerhalb des Kunstbetriebs, aber auch die Zugänglichkeit zu Kultur im Allgemeinen sind Themen ihrer Werke. Sorgfältig recherchiert sie zu zuvor klar definierte Fragestellungen und setzt ihre Antworten mit Humor in Performances, Videos, Fotografien und Installationen um – ohne dabei allzu einfache Lösungen anzubieten. Ihr geht es vor allem darum, unseren Blick zu schärfen, bestehende Machtstrukturen in Frage zu stellen und verfestigte Normen und Rollenverständnisse aufzubrechen.

Die Werke der Ausstellung

„Ada vs. Emin“ / „Ada vs. Abramović“ (2018; Video, Sound; 10 min.): Von der Künstlerin Marina Abramović wurde die Aussage verfestigt, Frauen seien in der Kunst weniger erfolgreich als Männer, weil sie nicht auf Liebe, Kinder und Familie verzichten wollen. Die Künstlerin Tracey Emin sagt über sich, dass sie keine Kompromisse mache und entweder 100 Prozent Künstlerin oder 100 Prozent Mutter gewesen wäre.

Zwei der einflussreichsten Künstlerinnen der Gegenwart reproduzieren damit die Vorstellung, dass man als Frau eben nicht alles haben kann. Während es für Gerhard Richter (drei Kinder), Pablo Picasso (vier Kinder) oder Lucien Freud (mindestens 12 Kinder) offenbar keine größeren Schwierigkeiten mit sich brachte, gleichzeitig Vater und ein erfolgreicher Künstler zu sein, herrscht gegenüber Frauen auch im 21. Jahrhundert offenbar immer noch die Erwartung, sich entscheiden zu müssen.

Hannah Cooke inszeniert sich mit ihrer Tochter Ada in zwei Settings, in denen sie akribisch berühmte Kunstwerke von Tracy Emin (My Bed, 1998) und Marina Abramović (The Artist is present, 2010) zitiert. Sie zeigt sich als Künstlerin und Mutter und fordert dazu auf, Stereotype zu hinterfragen.

Bitter Pills (2021; Wandteppich; 100% Schurwolle, Spiegel): Welche „bittere Pille“ ist hier zu schlucken? In den Ecken des von Hannah Cooke handgetufteten Wollteppichs fletschen Hyänen ihre Zähne, in der Mitte prangt übergroß eine Vulva, in deren Öffnung wir uns selbst im Spiegel sehen. Obwohl der weibliche Körper als gebärender Körper für unsere Existenz unverzichtbar ist, wird ihm, wie Frauenkörpern generell, in der Medizin wenig Beachtung geschenkt.

Jenseits der Gynäkologie steht bei medizinischen Forschungen meist der männliche Körper im Fokus. So werden z.B. neue Medikamente seltener an Frauen getestet, weil der weibliche Körper als „zu komplex“ gilt. Dies hat weitreichende Konsequenzen für die medizinische Versorgung von Frauen.

Die Hyänen, deren Kommunikationslaute oft als eine Art „hysterisches Lachen“ beschrieben werden, verweisen auf die „Hysterie“, einen von der Antike (hystéra = Altgriechisch für Gebärmutter) bis in das 20. Jahrhundert hinein in der Medizin und der Psychoanalyse genutzten Begriff. Unter diesem wurden verschiedene Krankheiten und Störungen zusammengefasst, die allesamt dem weiblichen Körper zugeschrieben wurden. Obwohl die Medizin heute weiß, dass z.B. dissoziative Störungen bei allen Menschen vorkommen, werden Frauen, die auf Probleme medizinischer oder gesellschaftlicher Art hinweisen, weiterhin oft als „hysterisch“ bezeichnet – im Sinne von „überdreht“ oder „nicht ganz ernst zu nehmen“. Spucken die Hyänen die „bitteren Pillen“, die man ihnen vorsetzt, vielleicht aus, statt sie zu schlucken?

Schneeläuferin (2021; Teppich; 100% Schurwolle): Ein Gender Data Gap entsteht, wenn bei wissenschaftlichen Untersuchungen ein Geschlecht vernachlässigt wird. Meistens sind dies Frauen, die dadurch Nachteile erleiden. Ein bekanntes Beispiel ist der Einsatz von Crash Test Dummies, mit denen die Auswirkungen von Verkehrsunfällen auf den menschlichen Körper erforscht werden.

Die Figuren entsprechen in Größe und Gewicht meist einem durchschnittlichen, männlichen Erwachsenenkörper, an den dann die Positionen der Anschnallgurte und Airbags angepasst werden. Schlecht für all jene, die durchschnittlich kleiner, leichter oder anders gebaut sind.

Hannah Cookes Teppich „Schneeläuferin“ zeigt hingegen, wie wichtig es ist, möglichst viele Perspektiven in Forschungen zu berücksichtigen. Sie bezieht sich dabei auf eine Untersuchung in Schweden, die Caroline Criado-Perez in ihrem Buch „Unsichtbare Frauen“ als eines von vielen Beispielen nennt: In vielen Schneegebieten wurden als erstes die Straßen vom Schnee befreit, um den berufspendelnden Autofahrer*innen (prozentual überwiegend Männer) freie Fahrt zu ermöglichen. Die Gehwege hingegen, auf denen Kinder zum Kindergarten oder in die Schule gebracht oder Einkäufe transportiert werden, blieben oft bis weit in den Vormittag vereist. Kehrt man die Reihenfolge des Schneeschippens um, so zeigt sich, dass weit weniger Fußgänger*innen verunglückten, was sich langfristig positiv auf das Gesundheitswesen auswirkt.

Trousers without Pockets (2021; Denim, Reißverschluss, iPhone Attrappen, wattierter Holz-Draht Unterbau): Wie sich Geschlechtersterotype auf das Design von Kleidung auswirken, und was dieses über gesellschaftliche Hierarchien aussagt, zeigt diese Arbeit. Die an die Rundungen eines „wohlgeformten“ Pos erinnernde Bodenvase ist mit einem Anzug aus Jeanshosen bekleidet. Aus einigen wenigen Taschen ragen iPhone-Attrappen hervor; viele der Taschen sind jedoch nicht nutzbar, sondern nur aufgesetzt oder zugenäht.

Tatsächlich haben viele für Frauen entworfene Hosen keine Taschen, in die man etwas hinein stecken könnte – nichts soll beulen oder auftragen und von der figurbetonten Silhouette ablenken. Die aus den Taschen ragenden iPhones verweisen auf die Debatten um den iPhone-Hersteller Apple, der Kritik dafür einstecken musste, dass er mit dem 6,5 Zoll großen iPhone Xs Max ein für durchschnittliche Frauenhände nicht einhändig nutzbares Smartphone präsentierte, während die Produktion des nur 4 Zoll großen iPhone SE eingestellt werden sollte.

Hintergrund zum MO_Kunstpreis: Die Auszeichnung wird einmal jährlich an eine*n Künstler*in verliehen, der*die in der Tradition der Fluxus-Bewegung arbeitet. Der Preis wurde 2014 von den Freunden des Museums Ostwall unter dem Motto „Dada, Fluxus und die Folgen“ ins Leben gerufen, um den Sammlungsschwerpunkt Fluxus zu stärken und um zeitgenössische Positionen zu erweitern.

Der Preis ist seitens der Freunde des MO mit 10.000 Euro dotiert, mit denen ein Kunstwerk für die Museumssammlung erworben wird. Seit 2020 fördert die Stadt Dortmund den Ankauf mit weiteren 10.000 Euro.


Zum Thema

Im Museum Ostwall im Dortmunder U ist die Kunstsammlung der Stadt Dortmund mit Werken aus dem 20. und 21. Jahrhundert zuhause.


 

Kunstpreisträgerin Hannah Cooke vor ihrer Arbei 'Ada vs. Emin' (Foto: Dortmund-Agentur / Roland Gorecki)